Meine jüngsten Gespräche mit CFOs in der Fertigungsindustrie zeigen eine wachsende Bereitschaft, eine neue Rolle als strategischer Geschäftspartner einzunehmen. Immer mehr CFOs erkennen, dass eine rein finanzielle Perspektive in entscheidenden Momenten nicht ausreicht. Sie öffnen sich zunehmend dafür, auch die operativen Verantwortlichen einzubeziehen, um Entscheidungen zu treffen, die dem Unternehmen langfristig wirklich nutzen.
Drastische Massnahmen sind manchmal notwendig, das bestreitet niemand. Wenn externe Kapitalgeber oder Banken verlangen, dass ein Unternehmen bestimmte Kennzahlen im Rahmen eines Kreditvertrags einhält, muss man sich daran halten. Kennzahlen wie EBITDA, Liquidität oder das Verhältnis von Gewinn zu Rückzahlungen dienen vor allem dazu, Kreditgebern die Sicherheit zu geben, dass das Unternehmen seine Schulden bedienen kann. Ein CFO ist bestens darauf vorbereitet, diese finanziellen Erwartungen zu erfüllen.
Doch drastische Massnahmen können langfristig negative Konsequenzen haben, insbesondere dann, wenn Kostensenkungen die operativen Abläufe beeinträchtigen. Bestände, ein zentraler Bestandteil, des Betriebskapitals, geraten dabei häufig als Erstes ins Visier. Die traditionelle Sichtweise lautet: Weniger Betriebskapital ist immer besser. Also wird rasch entschieden, Bestände abzubauen, um kurzfristig Liquidität freizusetzen.
Dieser Ansatz greift jedoch eindeutig zu kurz. Betriebskapital ist das Kapital, das ein Unternehmen benötigt, um seine laufenden finanziellen Verpflichtungen zu erfüllen. Es ist ein Mass für die kurzfristige Liquidität und wird berechnet, indem man das kurzfristige Fremdkapital (z. B. Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen, kurzfristige Kredite) von den kurzfristigen Vermögenswerten (z. B. Forderungen, Bestände, liquide Mittel) abzieht. Ein gesundes Betriebskapital ist unverzichtbar, um Mitarbeitende und Lieferanten zu bezahlen und um Bestände rechtzeitig wieder aufzufüllen.
Ein positives Betriebskapital ist grundsätzlich gut, auch wenn in Branchen wie dem Einzelhandel ein negatives Betriebskapital sogar ein Zeichen hoher operativer Effizienz sein kann. Ebenso stimmt es, dass ein zu hohes Betriebskapital problematisch ist, da es häufig auf übermässige Bestände zurückzuführen ist – und damit auf Kapital, das im Lager gebunden ist und nicht für Investitionen oder Wachstum zur Verfügung steht.
Jedes Unternehmen braucht eine Betriebskapital-Strategie, die präzise auf die eigene Gesamtstrategie abgestimmt ist. So wie ein Unternehmen eine klare Strategie für seine langfristigen Vermögenswerte verfolgt, muss das Management auch sorgfältig festlegen, welches Betriebskapitalniveau die strategischen Ziele am besten unterstützt. Betriebskapital sollte dabei nicht als reine Einsparquelle betrachtet werden, sondern als strategischer Hebel zur Wertschöpfung.
Beispielsweise wird ein Unternehmen, das mit einer breiten Produktpalette, exzellentem Service und schneller Lieferung konkurriert, höhere Lagerbestände vorhalten. So kann es schnell auf die Kundennachfrage reagieren. Die Kosten für diesen Service müssen sich im Produktpreis widerspiegeln, um eine gesunde Marge zu gewährleisten.
Im Gegensatz dazu kann es sich ein Wettbewerber, der auf niedrige Preise setzt, nicht leisten, denselben Lagerbestand zu halten. Er wird einen geringen Lagerbestand und einen schnellen Umschlag anstreben.
Diese strategischen Entscheidungen müssen zudem Produktmerkmale, Lieferantenrestriktionen und die gesamte Supply Chain berücksichtigen. Oft kennt ein CFO diese operativen Engpässe jedoch nicht im Detail. Das unterstreicht die Bedeutung eines kontinuierlichen und intensiven Informationsaustauschs zwischen Finanzbereich und operativen Führungskräften.
Wenn CFOs sich stärker einbringen, stossen sie häufig auf „heilige Kühe“ in der Supply Chain – Themen, an die sich lange niemand herangewagt hat. Beispielsweise bringen produzierende Unternehmen regelmäßig neue Produkte auf den Markt, gestützt auf optimistische Absatzprognosen, ohne die zusätzliche Komplexität und die steigenden Kosten in Produktion und Lagerhaltung vollständig zu berücksichtigen.
Operative Führungskräfte übersehen zudem nicht selten die Rentabilität älterer Produkte. Hier kann der CFO neue Disziplin einführen, etwa durch ein Portfolio-Management, das den Beitrag jedes einzelnen Produkts analysiert. Unternehmen, die unter Wachstumsdruck stehen, scheuen oft davor zurück, ihr Portfolio zu bereinigen. Doch auf Dauer entsteht kein Wert, wenn Produkte verkauft werden, die Verluste schreiben. Häufig liegt das Problem bei den Verkaufspreisen, die eine ausreichende Marge schlicht nicht zulassen.
Ich empfehle, die Verwendung der Kapitalrendite (ROCE) als zentrale Kennzahl bei der Entwicklung der Unternehmensstrategie und bei der Überwachung von Investitionen zu nutzen. Auch wenn dieser Indikator vielen CFOs weniger geläufig ist, wird er von Investoren breit eingesetzt, um die Rendite auf das eingesetzte Kapital zu bewerten. ROCE schafft einen objektiven Massstab, um Prozesse und neue Initiativen zu beurteilen und sie danach zu vergleichen, welchen Wert sie schaffen und welche Kosten dem gegenüberstehen. So lassen sich Entscheidungen gezielter treffen: wertschaffende Produkte werden gestärkt, leistungsschwache Produkte aus dem Portfolio entfernt.
Hier kommt die Pareto-Analyse ins Spiel. In den meisten Unternehmen erwirtschaften rund 20 % der Produkte mehr als 80 % des Gesamtwerts. Indem Sie diese leistungsstarken Produkte weiter stärken und die am wenigsten profitablen 20 % abbauen, erzielen Sie einen unmittelbaren und positiven Effekt auf das Geschäftsergebnis. Dieser Prozess ist iterativ und kann regelmässig wiederholt werden, um eine kontinuierliche Verbesserung sicherzustellen.
Oder werfen Sie einen Blick in mein aktuelles Buch „Rethinking Supply Chain: Build a Strategy-Driven, Sustainable and Resilient Supply Chain“ für noch tiefere Einblicke in den Wert der Zusammenarbeit zwischen Finanz- und Lieferkettenplanung zu erhalten.
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