S&OP ist gescheitert – wir brauchen einen neuen Ansatz

Bram Desmet
19.08.2025 14:48:52

In all meinen Jahren in der Supply Chain Beratung bin ich zu einer klaren Erkenntnis gekommen:
Wir müssen uns eingestehen, dass die aktuelle Art, wie wir S&OP (oder IBP) betreiben, nicht mehr funktioniert. Und ich bin mir auch nicht sicher, ob wir das Problem beheben können.

In diesem Blogbeitrag werde ich genau erläutern, wie ich zu dieser Schlussfolgerung gekommen bin, welche Konstruktionsfehler uns daran hindern, alle unsere Geschäftsplanungsprozesse effizient aufeinander abzustimmen, und welche Optionen wir haben, um voranzukommen.

Die Herausforderung des aktuellen S&OP

Zunächst einmal: Das klassische, S&OP "aus dem Lehrbuch" ist keine heilige Schrift. Es ist kein fehlerfreies Dogma, dem man blind folgen sollte. Wer genauer hinsieht, erkennt eine ganze Reihe grundlegender Probleme:

  • Zum einen mangelnde Akzeptanz durch andere Unternehmensbereiche – etwa Vertrieb, Portfoliomanagement, Finanzen oder die fehlende Unterstützung durch P&L-Verantwortliche;
  • Zum anderen Unwirksamkeit durch mangelhafte oder verzerrte Prognosen, kurzfristige Planungshorizonte (ein Monat statt 3–18 Monate) und das Fehlen von Nachhaltigkeitsdaten in der Entscheidungsfindung;
  • Drittens die Zerstreuung der Daten über verschiedenste S&OP-Tools hinweg – verursacht durch fehlende oder schlecht integrierte Planungssysteme sowie anhaltende Probleme mit Stammdaten.

Ich habe kürzlich an einer KI-Konferenz in Berlin teilgenommen, bei der ein grosser Schwerpunkt auf der Einrichtung geeigneter Data Lakes lag. Diese versorgen KI-Systeme mit den Daten, die sie benötigen, um richtig zu funktionieren, und verschaffen Ihrem Unternehmen einen Vorteil bei der weiteren Optimierung Ihrer Geschäftsprozesse. Wenn ich mir jedoch den allgemeinen Zustand der Stammdaten und des S&OP in Unternehmen insgesamt anschaue, denke ich, dass wir eher mit "Datensümpfen" als mit "Datenseen" (Data Lakes) zu tun haben. Aus diesem Grund halte ich es für sinnvoller, zunächst unsere grundlegenden Planungsdaten und -prozesse zu optimieren, bevor wir KI als Messias für unser S&OP betrachten.

Die grundlegenden Konstruktionsfehler von S&OP

Seit den Anfängen von S&OP in den 80er Jahren hat sich das grundlegende Design nicht im Geringsten verändert. S&OP- oder Advanced-Planning-Tools funktionieren immer noch genauso wie vor 30 bis 40 Jahren, obwohl sich die Welt weiterentwickelt hat und die globalen Märkte immer dynamischer geworden sind – oder, wenn man es negativer sieht, immer volatiler. Was genau sind nun diese grundlegenden Designfehler, von denen ich spreche? Schauen wir uns das einmal an:

  1. Notwendigkeit der Ausrichtung des S&OP-Prozesses an der Finanzprognose: 
    Dies ist meiner Meinung nach ein fehlerhafter Prozess, der dogmatisch praktiziert wird, ohne dass dessen Effizienz kritisch hinterfragt wird. Diese Ausrichtung verdoppelt nicht nur den Planungsaufwand, da er auf die Supply Chain- und Finanzteams aufgeteilt wird, sondern erfordert auch, dass diese Teams ihre eigenen Prognosen miteinander vergleichen und auf die eine oder andere Weise aufeinander abstimmen – selbst wenn ihre Grundannahmen und der Detaillierungsgrad ihrer Planung stark voneinander abweichen. 

    Dies hat sogar Auswirkungen auf den Vertrieb, der oft zwei unterschiedliche Prognosen an die Supply Chain und die Finanzabteilung übermitteln muss. Beide werden positiv und negativ manipuliert, um den Anforderungen dieser Abteilungen gerecht zu werden und beide entfernen sich dabei von der Realität.

  2. Die Forderung nach Konsens:
    Dies ist der heilige Gral des klassischen S&OP-Denkens. Nach dieser Regel müssen Vertrieb, Finanzabteilung und Supply Chain einen Konsens über die Planung und Prognose erzielen. Meiner Meinung nach ignoriert diese Denkweise jedoch andere Motivationen bei der Planung oder die Art und Weise, wie bestimmte Abteilungen mögliche Planungsrisiken betrachten. Der Vertrieb ist beispielsweise oft positiver in seinen Prognosen, während die Finanzabteilung eher konservativ ist („Lieber zu wenig versprechen als zu viel liefern!“). Und die Supply Chain möchte so korrekt wie möglich sein, was einen gesunden Kompromiss zwischen diesen drei Positionen fast unmöglich macht.


    Eine andere Möglichkeit, diese unterschiedlichen Ansichten zu Risiken und Planung anzugehen, besteht darin, eine Debatte zu organisieren, in der die verschiedenen Ansichten zu Risiken neben den Chancen diskutiert werden, die eine risikoreichere Prognose mit sich bringen könnte. Nur wenn Sie alle an einen Tisch bringen, können Sie echte, langfristige Entscheidungen darüber treffen, welche Risiken es wert sind, eingegangen zu werden, und welche Chancen zu weit hergeholt sind.

  3. Die Frustration des Vertriebs durch lehrbuchhafte Bedarfsplanung
    Ein häufiger Konstruktionsfehler von S&OP, auf den ich bei meinen Kunden stosse, ist der Aufwand, den der Vertrieb betreiben muss, um eine statistische Prognose mit zusätzlichen Vertriebsdaten anzureichern, damit die Supply Chain mit ihrer Kapazitäts- und Materialplanung fortfahren kann. Aber ist das ein logischer Prozess?

  4. Aus meiner Sicht erhöht diese Arbeitsweise nur die Frustration des Vertriebs gegenüber dem allgemeinen Prognoseprozess. Selbst wenn sie sich bemühen, die Prognose so nah wie möglich an die kurzfristige Realität anzupassen, ist nicht garantiert, dass sie über die Kapazitäten oder Materialien verfügen, die sie für ihre Kunden benötigen. Dies kann auf Transport- oder Lieferantenprobleme zurückzuführen sein, ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass der Vertrieb von den Kunden zur Verantwortung gezogen wird, wenn er nicht liefern kann, was versprochen wurde.

    In einer anderen Welt könnte die Supply Chain den Vertrieb bei der Prognose unterstützen und gemeinsam könnten sie einen Überblick über die Vertriebsziele und deren Erreichung als Team erstellen. Diese Vorgehensweise könnte dann dazu beitragen, den Vertriebsplan zu konkretisieren und gleichzeitig die Akzeptanz des Vertriebs für S&OP zu erhöhen, die im aktuellen S&OP-Ansatz so deutlich fehlt.

Wir brauchen einen neuen Planungsansatz

Wenn wir S&OP wirklich verbessern wollen, müssen wir gewissermassen das gesamte System neu ordnen. Derzeit arbeiten Unternehmen oft in funktionalen Silos: Der Vertrieb wird von Verkaufszahlen gesteuert, der Betrieb von Effizienzkennzahlen und das Finanzwesen von Liquiditätszielen

  1. Der Ausgangspunkt ist eine echte und native Integration von Finanzplanung und Supply Chain Planung, wie ich in meinem Buch „The Strategy-driven Supply Chain“ erwähne. Bis zu 80 % dieser Planungsprozesse überschneiden sich bereits, und auch wenn es dem Finanzwesen und der Supply Chain vielleicht nicht gefällt, ist dies angesichts der aktuellen Volatilität sowohl auf der Nachfrage- als auch auf der Angebotsseite der Lieferkette ein notwendiger Schritt. Es ist im Grunde unverantwortlich, bei der Supply Chain Planung nicht über angemessene Finanzinformationen zu verfügen oder bei der Finanzplanung nicht über angemessene Supply Chain Informationen.
    Sobald wir diese beiden Bereiche integriert haben, müssen wir uns überlegen, wie wir die Supply Chain- und Finanzplanung mit dem Vertrieb verbinden und deren Zustimmung einholen können. Der Schlüssel liegt dabei darin, von den oben genannten Vertriebsanforderungen auszugehen, langfristige Planungsdaten auszutauschen und alle Beteiligten aufeinander abzustimmen.


  2. Anschliessend sollten wir auch mit wichtigen Kunden und Lieferanten in Kontakt treten, um einen kollaborativen Prognoseprozess zu schaffen, in dem Sie Einblick in deren Lagerbestände, den historischen Verbrauch und den Absatzplan haben. Im Wesentlichen müssen wir aufhören, zu raten, was unsere grössten Kunden in Zukunft kaufen werden. Wir sollten diese Beziehungen verbessern und uns regelmässig mit ihnen an einen Tisch setzen, um ihre Bedürfnisse für die kommenden Monate zu besprechen. 

    Das Gleiche gilt für wichtige Lieferanten. Setzen Sie sich mit ihnen zusammen, um sich gegenseitig Garantien für die Reservierung von Kapazitäten zu geben und sich langfristig zum Kauf bestimmter Rohstoffe zu verpflichten. So können Sie so spät wie möglich festlegen, welche SKUs sie für Sie produzieren müssen, um der erhöhten Marktvolatilität gerecht zu werden.


  3. Sobald diese Verbindungen bestehen, müssen wir überlegen, wie wir Nachhaltigkeits- und Sozialkennzahlen in unsere zentralen Entscheidungsprozesse der Planung einbeziehen können.

    Darüber hinaus müssen Unternehmen nun auch Umwelt- und Sozialstandards in ihr S&OP-Ökosystem integrieren. 

    Im Hinblick auf Nachhaltigkeit müssen Unternehmen beispielsweise nicht nur ihre eigenen Emissionen im Auge behalten, sondern auch die Emissionen ihrer Lieferanten und Kunden verfolgen. Aus sozialer Sicht möchten wir unsere Supply Chain auch in den richtigen sozialen Kontext stellen und sicherstellen, dass unsere Lieferanten sich sozial verantwortlich verhalten – was in der Modebranche oder im Einzelhandel insgesamt ein grosses Thema sein kann.

Integrierte Wertplanung oder S&OP 2.0 als Game Changer

Die oben skizzierte Vision für die Zukunft integrierter Geschäftsplanungsprozesse nenne ich „Integrated Value Planning(IVP) – oder auch S&OP 2.0.

Aus meiner Erfahrung heraus bietet dieser Ansatz eine deutlich bessere Antwort auf die Herausforderungen der heutigen volatilen Märkte und eröffnet gleichzeitig eine zukunftsfähige Perspektive, denn er:

  • sichert das Buy-in von Vertrieb und Finanzbereich – etwas, womit die Supply Chain seit jeher zu kämpfen hat
  • verbessert die Prognosequalität, indem es den Vertrieb besser unterstützt und von einem erzwungenen Planungs-Konsens wegführt
  • legt den Fokus auf die Qualität der Stammdaten – eine zentrale Voraussetzung für sinnvollen KI-Einsatz
  • schafft einen klaren Überblick über Planungsbedarfe, Anforderungen sowie Risiko- und Chancenbewertung, was eine bessere Integration verschiedener Planungssysteme ermöglicht

Es geht also nicht um einen radikalen Neustart, sondern um ein fundiertes Neudenken von S&OP – mit dem Ziel, Geschäftsplanungsprozesse künftig besser miteinander zu vernetzen und wirksamer zu gestalten.

 

S&OP 2.0: Eine neue Ära in der Supply Chain Planung

 

Da Lieferketten immer komplexer werden, reicht es nicht mehr aus, lediglich Service, Kosten und Liquidität auszubalancieren. Unternehmen müssen heute auch Nachhaltigkeitsziele wie die CO2-Reduktion und ethisch verantwortungsvolle Beschaffung berücksichtigen.

In einer zunehmend volatilen Welt verankert das S&OP 2.0 unseres CEOs – auch bekannt als Integrated Value Planning – Agilität und Nachhaltigkeit fest in der Supply Chain Planung. So werden traditionelle Prozesse transformiert, um den Anforderungen moderner Märkte gerecht zu werden.

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